Eine Antwort auf Emmanuel Macron

Wirtschaftsprofessor und Europaparlamentarier Bernd Lucke antwortet
Sehr geehrter Herr Staatspräsident Macron,

Sie haben uns Bürgern Europas geschrieben. Haben Sie vielen Dank dafür! Wir sind Ihnen eine Antwort schuldig.

Ein Neuanfang für Europa ist dringend notwendig. Denn, ja, die europäische Einigung ist ein großartiges Projekt. Aber warum schreiben Sie „Europa“? Meinen Sie nicht die EU? Um Europa ist mir nicht bange. Aber die EU taumelt von Krise zu Krise. Wollen Sie einen Neuanfang für die EU? Ich finde nichts davon in Ihrem Schreiben.

Zur Verteilung der Flüchtlinge sagen Sie nichts

Im Gegenteil, Sie scheinen die Probleme der EU gar nicht verstanden zu haben. Sie präsentieren Vorschläge, von denen jeder weiß, dass sie nicht funktionieren werden. Nehmen Sie die Asylpolitik. Sie schlagen eine europäische Asylbehörde mit gemeinsamen Regeln für Anerkennung und Ablehnung vor. Ist Ihnen nicht bewusst, dass wir diese gemeinsamen Regeln längst haben? Sie sind europäisches Gesetz und sie sind auch in Frankreich gültig. Ich hoffe, Frankreich wendet diese Regeln genauso an wie Deutschland das tut.

Es geht nicht um gemeinsame Regeln. Es geht um die Verteilung der Flüchtlinge. Dazu sagen Sie gar nichts. Aber das ist das Problem, das die EU seit mehr als drei Jahren nicht lösen kann. Die gegenwärtige Verteilung ist ungerecht, weil die südeuropäischen Staaten für den größten Teil der Flüchtlinge zuständig sind. Wo ist Ihre Alternative? Wollen Sie, dass die europäische Asylbehörde auch die Verteilung der Flüchtlinge festlegt und bestimmen darf, wieviele in welchen Staat kommen? Das wird kaum ein EU-Staat akzeptieren, und Italien, Österreich und ganz Osteuropa werden Sturm dagegen laufen. Solch ein Vorschlag spaltet die EU, statt Europa zu einen.

Mit Verlaub, Herr Präsident: Was Sie präsentieren, ist kalter Kaffee!

Herr Präsident, mein Gegenvorschlag ist: Die EU darf nicht mehr Flüchtlingen Aufnahme versprechen, als ihre Mitgliedsstaaten aufzunehmen bereit sind. Nur wenn wir die Mitgliedsstaaten nicht überfordern, können wir Europa geeint erhalten.

Sie fordern eine gemeinsame europäische Grenzpolizei. Ist Ihnen nicht bewusst, dass es Frontex längst gibt? Frontex ist sogar eine französischen Abkürzung, sie steht für fontières extérieures, also „Außengrenzen“. Frontex kontrolliert die Außengrenzen der EU gemeinsam mit den Grenzsicherungseinheiten des jeweiligen Mitgliedsstaates. Der Vorschlag, dass die Mitgliedsstaaten auf ihre eigene Grenzsicherung verzichten, ist längst diskutiert und von den Mitgliedsstaaten verworfen worden. Es ist auch gar nicht einzusehen, weshalb die Sicherung der Außengrenzen besser würde, wenn nur noch Frontex die Grenzen sichert und die Mitgliedsstaaten keine eigenen Kontrollen mehr durchführen. Mit Verlaub, Herr Präsident: Was Sie präsentieren, ist kalter Kaffee!

Ihr Vorschlag ist protektionistisch

Herr Präsident, Sie wollen die Wettbewerbspolitik reformieren und die Handelspolitik neu ausrichten. Schöne Worte, aber Ihre konkreten Vorschläge sind zum Haareraufen. Zunächst wollen Sie Unternehmen bestrafen oder verbieten, die Umwelt- oder Datenschutzstandards unterlaufen oder ihre Steuern nicht ehrlich zahlen. Ich bitte Sie: Das ist längst Gesetzeslage! Sorgen Sie dafür, dass die Gesetze angewendet werden! Das ist Ihre Aufgabe und die Aufgabe Ihrer Regierung!

Dann schlagen Sie vor, europäische Unternehmen bei öffentlichen Aufträgen oder strategischen Interessen gegenüber ausländischen Konkurrenten zu bevorzugen. Mit Verlaub, die EU ist nicht in einem Ähnlichkeitswettbewerb mit Trump! Sie sollten die europäischen Verträge kennen: Artikle 119 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union verpflichtet die EU auf den Grundsatz einer „offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“. Wir dürfen nicht diskriminieren und wir wollen nicht diskriminieren, nur weil ein Unternehmen aus dem Ausland kommt. Ihr Vorschlag ist protektionistisch und gegen Geist und Buchstaben der Europäischen Verträge gerichtet.

Die Eurokrise hat hohe, langanhaltende Arbeitslosigkeit in Südeuropa verursacht

Herr Macron, Sie fordern einen „europaweiten Mindestlohn“, der „an jedes Land angepasst“ werden solle. Das ergibt leider überhaupt keinen Sinn. Wenn der Mindestlohn europaweit gültig ist, kann er nicht in jedem Land anders sein. Ein europaweiter Mindestlohn wäre ökonomischer Unfug, denn er wäre hier zu hoch und dort zu niedrig. Aber wenn er für jedes Land anders ausfallen soll, dann überlassen Sie die Mindestlohngesetzgebung getrost den Mitgliedsstaaten der EU. Wir haben in Deutschland gute Erfahrungen mit flexiblen Branchenlösungen gemacht. Frankreich kann gern einen anderen Weg gehen, sollte aber wissen, dass es Menschen in gelben Westen gibt, die damit nicht so zufrieden sind.

Herr Macron, Sie fragen, wie wir ohne den Euro den „Krisen des Finanzkapitalismus“ widerstehen könnten. Die Antwort ist einfach: Sehr viel besser! Die Eurokrise war eine direkte Folge der Finanzkrise von 2008/2009. Die EU-Staaten, die noch ihre eigene Währung hatten, haben sich viel schneller von dieser Krise erholt als Griechenland, Zypern, Portugal, Spanien und Italien. Der Euro hat die EU nicht stark gemacht, wie Sie behaupten, sondern verwundbar. Die Eurokrise hat hohe, langanhaltende Arbeitslosigkeit und schwere Einkommensverluste in Südeuropa verursacht. Begünstigt wurde das durch Disziplinlosigkeit bei der Neuverschuldung, wie sie sich jetzt auch Frankreich wieder zurechnen lassen muss.

Wissen Sie, dass Maltas Bürger zehnfach besser im Europaparlament vertreten sind als die Bürger Frankreichs?

Herr Präsident, Sie schlagen einen europäischen Vertrag über Verteidigung und Sicherheit vor und fordern gegenseitige Verteidigung im Einklang mit der NATO. Wofür brauchen wir diesen Vertrag, wenn wir doch durch die NATO schon einen Vertrag über gegenseitige Verteidigung haben? Sind die militärischen Abenteuer der USA so reizvoll, dass die EU jetzt ebenfalls eine Militärmacht werden sollte? Und wenn Sie einen militärischen Sicherheitsrat fordern, der gemeinsame Entscheidungen treffen soll: Wird der auch über die französischen Nuklearwaffen entscheiden? Oder bleibt der große Europäer Macron in dieser Hinsicht ein Nationalist?

Herr Macron, Sie fordern eine europäische Agentur zum Schutz der Demokratie. Dass Hass und Lügen nicht verbreitet werden sollen, ist unstrittig. Strittiger dürfte es aber sein, was eine Lüge ist. Ist die EU berufen, die Wahrheit festzustellen? Wird die Agentur für Demokratie in Wahlkämpfe oder Referenden eingreifen, wenn eine Seite Lügen verbreitet? Wird ihre Agentur für Demokratie die gewählten Abgeordneten des katalanischen Regionalparlaments aus dem Gefängnis befreien? Wird die Demokratieagentur dafür sorgen, dass das Europaparlament endlich jedem Bürger dieselbe Stimme gibt? Wissen Sie, dass Maltas Bürger zehnfach besser im Europaparlament vertreten sind als die Bürger Deutschlands oder Frankreichs?

Schüren Sie keine Illusionen, sondern erarbeiten Sie sich Respekt durch Redlichkeit und Realismus

Schließlich, Herr Präsident: Afrika! Sie wollen einen „Pakt für die Zukunft“ mit Afrika schmieden. Sie wollen, dass die EU in Afrika in Bildung und Produktivkapital investiert. Das ist schön, aber es ist zugleich das Naivste, was Sie zur Entwicklungspolitik hätten sagen können. Die Probleme Afrikas sind nicht einfach mit Geld zu lösen. Geld versickert nutzlos, wo schlechte Regierungen, Korruption, Traditionen, Hitze, Dürre, Krankheiten, Stammeskonflikte und die Macht der Militärs zusammenkommen. An diesen Probleme ist auch Frankreich schon gescheitert: Den früheren französischen Kolonien geht es nicht besser als dem Rest von Afrika. Deshalb, Herr Präsident, tun Sie bitte nicht so, als könnten wir Wunder wirken. Die EU, die Europäische Investitionsbank und alle Mitgliedsstaaten, auch Frankreich, helfen Afrika seit vielen Jahrzehnten. Wenn es nur ums Geld ginge, wäre Afrika längst ein blühender Kontinent. Aber es ist unendlich viel schwieriger. Lassen Sie die Entwicklungshelfer ihre Arbeit verrichten. Sie verstehen etwas davon.

Herr Präsident, Ihr Brief ist selbst ein Fall für die Europäische Demokratieagentur. Sie täuschen die Wähler, Sie gaukeln ihnen Lösungen vor, die es nicht gibt, Sie verkaufen Dinge als neu, die wir schon lange haben. Wer Sie deshalb wählt, wurde von Ihnen geblendet. Das ist kein Dienst an der Demokratie. Schüren Sie keine Illusionen, sondern erarbeiten Sie sich Respekt durch Redlichkeit und Realismus. Nur das ermöglicht einen Neuanfang für die EU!

Mit freundlichen Grüßen,

Ihr Prof. Dr. Bernd Lucke, MdEP

Das frühere CDU-Mitglied Bernd Lucke ist Gründer der Partei Alternative für Deutschland (AfD) und seit 2014 Abgeordneter im Europäischen Parlament. Im Juli 2015 verließ der Wirtschaftsprofessor die AfD und gründete kurz darauf die Partei LKR (ursprünglich ALFA). Als Europaabgeordneter ist er Mitglied der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) und Delegationsleiter der Partei Liberal-Konservative Reformer (LKR).

Der Beitrag „Sehr geehrter Herr Macron, Sie scheinen Probleme der EU nicht verstanden zu haben!“ erschien zuerst auf FOCUS Online.

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