Wie gut, (k)eine Meinung zu haben!

(Linker) Gutmensch oder (rechter) Rassist?

Haben Sie sich auch schon längst abgewöhnt, eine öffentliche Meinung zu haben? Sagen Sie lieber nichts als etwas Falsches? Fühlen Sie sich selbst unter guten Bekannten, Nachbarn und Freunden oft wie ein Spürhund, der seine Nase erst einmal erschnuppern lässt, wie mainstream-gesättigt die Luft ist. Und kommt es dann nach dem Erschnuppern vor, dass Ihnen ungewollt und so leicht wie von selbst Töne entweichen, die gar nicht Ihre sind, sondern geklaute oder geliehene und die in dem Moment, in dem sie Ihren Mund verlassen, so schön klingen, dass Sie selber total überrascht sind? Verglichen etwa mit einer Person, die sich im Bad eines anderen des fremden Parfums bedient hat und als mit fremden Lorbeeren Geschmückte ihr Umfeld betört?

Zu Hause angekommen schauen Sie wie gewöhnlich vor dem Zubettgehen noch einmal in den Spiegel und weichen angewidert zurück. Ihr Spiegelbild eine verzerrte Fratze – schiefer Mund, überlange krumme Nase, ein schielendes Auge. Und das Erstaunliche ist … Sie wissen, warum Ihr eigenes Zerrbild auf Sie blickt.image

Ihr Vorsatz ist eindeutig und steht fest. Lügen haben kurze Beine und eine lange Nase. Daran werden Sie beim nächsten Treffen mit Freunden denken. Und so passiert’s. Direkt und frei heraus verkünden Sie beim nächsten Treffen Ihre Meinung, kritisieren den augenblicklichen Zustand, begründen und machen, um die Luft nicht ganz zu verpesten, sogar Verbesserungsvorschläge. Kaum aber haben sich Ihre befremdlichen oder extremen Äußerungen mit Seltenheitswert, also Ihre Anti-Mainstream-Tiraden durch den Raum geschlängelt, spüren Sie den Atem und die Blicke der anderen, die Ihnen plötzlich kalt entgegenkommen.
Zuhause schauen Sie in den Spiegel. Sie sehen sich unverzerrt und klar und beginnen zu verstehen, dass Sie sich zwischen zwei Varianten zu entscheiden haben und warum es den Mainstream gibt.

Geteiltes Deutschland 2016

So passierte es vielen Menschen im letzten Jahr, nachdem das Merkel-Zitat durch die Medien gewandert war. Seitdem durchlebte das gesamte Land eine gesellschaftliche Metarmophose.

Immerhin durften Sie wählen, in was Sie sich verwandeln wollten: Gutmensch oder Rassist? Und innerhalb dieser Kategorien hatten Sie noch die Möglichkeit, aktiv zu werden oder passiv zu bleiben. Differenzierte Meinungsäußerungen, kritische Bemerkungen mit sachlichen Begründungen, religions- und kulturspezifische Überlegungen … alles verlorene Liebesmüh‘. Es ging nur noch um ein Für oder Wider, um ein Ja oder Nein, um schwarz oder weiß.

Oppositionsloser Parteien-Einheitsbrei

Heute fliegen Millionen von Schmetterlingen image(Gutmenschen) umher, die glauben, dass sie unsere Republik bunt machen, indem sie den denkenden, argumentierenden, kritischen, ängstlichen, skeptischen und/oder wütenden Bürgern ihre Flügel stutzen oder den Raupen (Anti-Gutmenschen) die Verpuppung verbieten.
Wie bunt, denken Sie, ist Deutschland, wenn ausschließlich Linienschwärmer (Hyles livornica = Nachtfalter aus der Familie der Schwärmer) unterwegs sind?
Unsere Einheitspartei CDUGrüneSPD wünscht sich eine bunte Republik und versteht darunter sexuelle, religiöse und nationale Vielfalt. imageDie haben wir schon lange. Dafür muss sich niemand mehr stark machen.
Dass allerdings auch  unbedingt eine gewollte und geförderte Meinungsvielfalt und eine aus ihr erwachsende öffentlich geführte Streitkultur diese Nation erst inhaltlich bunt macht, passt nicht in ihre Köpfe. Auf dieser Ebene bevorzugt die Einheitspartei das Gleichmachprinzip.
Ermöglichen wir diesen Politikern doch einfach einmal einen zweiwöchigen Aufenthalt in Duisburg-Marxloh oder Hochfeld unter Ausschluss der Medien und alleinige Gesprächen mit den dortigen bunten Bewohnern. Vielleicht löst sich dann der politische Einheitsbrei endlich wieder auf und die Erkenntnis einer unserer Großen  ändert Meinung und Richtung. Peter Scholl-Latour würde nämlich in Anbetracht dieses Elends sein Zitat wiederholen:
Wir können Kalkutta nicht retten, indem wir Kalkutta zu uns holen.“

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