Gastbeitrag von Thorsten Krüger (Bürgerreporter in Stockholm)
Coronarestriktionen zwingen die freie Meinungsäußerung in die Illegalität
Der vieldiskutierte schwedische Sonderweg in der Coronakrise hat einen vielseitigen Hintergrund. Mehr als 200 Jahre Frieden und Freiheit haben ein starkes Grundgesetz hervorgebracht, das nicht einfach zu ändern ist. Zugleich sind Minderheitsregierungen und eine starke föderale Struktur prägende Merkmale Schwedens. Derzeit wird das Land von einer Minderheitsregierung aus Sozialdemokraten und Umweltpartei regiert, unter Tolerierung der bürgerlichen Blockparteien Zentrum und Liberale. Allerdings stehen für 2022 Reichstagswahlen an, so dass das Potential, aus der derzeitigen Krisenlage politische Punkte zu gewinnen, unübersehbar ist.
Generell hat die schwedische Bevölkerung ein starkes Vertrauen in die Wissenschaft, so dass die schwedische Volksgesundheitsbehörde bei der Bewältigung der pandemischen Lage lange im Vordergrund stand. Allerdings verlor sie mit der falsch eingeschätzten zweiten Welle der labordiagnostizierten Covid-19-Fälle im Herbst 2020 in Teilen der Bevölkerung das Vertrauen. Eine unbedachte Äußerung des schwedischen Königs im Fernsehen brachte dann die Politik im Dezember in Zugzwang. Mittlerweile zeigt sich, dass sich die Coronakrise in Schweden in erster Linie zu einer Demokratiekrise entwickelt.
Sondervollmachten für die Regierung
Bereits im Frühjahr 2020 erhielt die Regierung für mehrere Monate erweiterte gesetzliche Vollmachten zur Hantierung der Coronakrise. Das temporäre Gesetz lief im Sommer aus, ohne je zur Anwendung gekommen zu sein. Gleichzeitig wurde der Reichstag von 349 auf 55 aktive Abgeordnete in wechselnder Besetzung abgemagert (1). Das hat zur Folge, dass sich die Meinungsvielfalt im Parlament nicht mehr in den Debatten widerspiegeln kann. Wobei die Unterschiede zwischen den einzelnen Parteien bezüglich der Coronastrategie nicht sonderlich ausgeprägt sind.
Unter dem Druck der nationalen Leitmedien, kontrolliert von den Medienhäusern Bonnier und Schibsted, wurde die Forderung nach einem Pandemiegesetz im Spätherbst erneut laut. Im Schnellverfahren wurde über den Jahreswechsel ein vorläufiges Gesetz erarbeitet, das vom 10. Januar bis Ende September 2021 in Kraft ist. Infolge des Pandemiegesetzes sind seitdem öffentliche Versammlungen grundsätzlich auf 8 Personen begrenzt (2). Ausnahmen für Demonstrationen sind nicht vorgesehen, auch nicht bei Vorlage eines Hygienekonzeptes.
Demonstrationen als Immunabwehr einer gesunden Demokratie
Durch das Pandemiegesetz wurde der öffentliche Raum als Projektionsfläche der Meinungsvielfalt faktisch gesperrt, ohne dass sich Regierung oder Reichstag aktiv für realistische Alternativen – wie z.B. einen nationalen offenen TV-Kanal – einsetzten. Weder die öffentlich-rechtlichen noch die privaten Medien wurden ihrer Selbstverpflichtung zur objektiven Berichterstattung auch nur halbwegs gerecht. Leserbriefe, die sich kritisch mit der Coronakrise beschäftigten, hatten kaum eine Chance, veröffentlicht zu werden, selbst wenn sie auf eine Vielzahl wissenschaftlicher Referenzen aus seriösen Quellen verwiesen. Auf dasselbe Problem stieß man auch bei den Leserkommentaren. Schon ein Link zum Wikipedia-Artikel über Herdenimmunität reichte als Grund zur Löschung einesKommentars aus.
In mehr als 200 Friedensjahren hat Schweden keine derartige Form von Autokratisierung und Gleichschaltung erlebt. Eine Erfahrung, die engagierte Privatpersonen um den 30-jährigen Filip Sjöström veranlasste, für den 6. März zu einem „Tausend-Mann-Marsch“ aufzurufen. Nach Sjöströms Aussagen suchte er mehr als drei Wochen vor der Veranstaltung aktiv die Kommunikation mit den zuständigen Dialogpolizisten, ohne dass von Seiten der Polizei die Bereitschaft zum konstruktiven Austausch erkennbar war (3). Damit war er gezwungen, für seine demokratischen Überzeugungen die Veranstaltung ohne behördliche Genehmigung zu organisieren, auch um einen Präzedenzfall für die gerichtliche Überprüfung des Pandemiegesetzes zu schaffen.
Die weiteren Vorbereitungen erfolgten in erster Linie über die Facebook- und Telegramgruppen Frihet och Sanning – Freiheit und Wahrheit (4,5). Alle potentiellen Teilnehmer wurden offen über die rechtlichen Risiken der Veranstaltung informiert, u.a. die Erteilung von Bußgeldern in Höhe von 2.000 SEK (ungefähr 200 EUR) pro Person wegen Verstoß gegen die Versammlungsbegrenzungen der Corona-Verordnung.
Unerwartet große Resonanz
Der zweifelhaften rechtlichen Situation zum Trotz sammelte sich am Nachmittag des 6. März pünktlich um 14:00 eine für die Polizei unerwartet große Anzahl von Demonstranten auf dem Medborgarplatsen im zentralen Stockholm (6). Die Polizei selbst teilte keine Teilnehmerzahlen mit, obwohl Drohnen im Einsatz waren (7). Aus Veranstalterkreisen belief sich die Schätzung auf ca. 1.500 Demonstranten (3).
Die Schar der Teilnehmer war bunt gemischt durch alle Altersgruppen. Es herrschte eine familiäre, friedvolle Stimmung. Die gezeigten Plakate waren gesellschafts- und technologiekritisch, aber nahezu ohne politische Bezüge. Nach kurzer Diskussion mit der Polizei konnte eine mobile Bühne vorgefahren werden und die Organisatoren teilten mit, dass die Veranstaltung durchgeführt werden könne. Leider erwies sich das Verhalten der Polizei als inkonsistent. Zwischen Organisatoren und Polizei begann ein Katz-und-Maus-Spiel, bei dem sich um die Bühne eine menschliche Schutzmauer bildete, als die Polizei erkennen ließ, die Bühne von der Rückseite räumen zu wollen.
Beim Auftritt des Gastredners Heiko Schöning verbreitete die Polizei für die Teilnehmer unverständliche Lautsprecherdurchsagen. Im Bereich der Teilnehmer wurden keine Dialogpolizisten eingesetzt, stattdessen wurde begonnen, einzelne Demonstranten von der Seite wegzuführen, um der Polizei einen Weg zur Bühne zu bahnen. Bei der Intervention kam durch mangelnde Sorgfalt der Polizei mindestens eine Demonstrantin zu Fall. Die Einsatzleitung ließ auf Nachfrage durchblicken, dass die fortgeführten Personen lediglich 10 Autominuten vom Veranstaltungsort entfernt würden ohne weitere erkennungsdienstliche Maßnahmen. Die betroffenen Personen berichteten später, dass die Polizisten Namen und Dienstnummer nannten und sich korrekt verhielten. Der Versuch der Polizei, zur Bühne vorzudringen, wurde letztendlich erfolglos abgebrochen, so dass die Veranstalter ihr Programm wie geplant zu Ende führen konnten.
Entgegen den Empfehlungen der Gesundheitsbehörden
Die Veranstalter hatten die Route für den anschließenden Marsch zum Kungsträdgården durch breite Straßen angelegt. Damit wäre eine im Hinblick auf den Infektionsschutz risikoarme Durchführung mit hinreichend Abstand gewährleistet gewesen. Leider entschloss sich die Polizei, durch eine Straßensperre mit querstehenden Einsatzwagen und berittener Polizei im Hintergrund, eine weniger geeignete Route über enge Treppenaufgänge zu erzwingen.
Zu einer weiteren polizeilichen Blockade kam es an der Brücke zur Altstadt. Personen, die in der vordersten Reihe den Dialog mit der Polizei suchten, wurden abgeführt (3). Hierbei kam es auch zu vereinzelten Handgreiflichkeiten, bei denen u.a. Teilnehmer zu Boden gedrückt wurden und Reizgas zum Einsatz kam. Bei dem Einsatz erlitten 6 Polizisten Schäden, die von der Polizei nicht näher definiert wurden (7). Eine größere Anzahl von Demonstranten entschloss sich, die Sperrung zu umgehen und mit der U-Bahn zur Abschlusskundgebung am Kungsträdgården zu fahren. Nach einer halben Stunde gab die Polizei für die abwartenden ca. 600 Teilnehmer die Passage frei, nachdem durch die polizeiliche Maßnahme auch unbeteiligte Bürger in ihrer Bewegungsfreiheit massiv behindert worden waren.
Abschluss und Nachspiel
Am Kungsträdgården fand eine kürzere friedliche Abschlusskundgebung statt, nach der die Veranstaltung von den Organisatoren beendet wurde (3). Demgegenüber erklärte die Polizei, sie hätte die Veranstaltung für aufgelöst erklärt (7).
Insgesamt wurden 50 Personen von der Veranstaltung entfernt. Gegen den Organisator wird wegen eines Verstoßes gegen das Ordnungsgesetz ermittelt (6). Die lokale Ordnunsgbehörde hatte Filip Sjöström am Freitag informiert, gegen ihn als Privatperson eine Geldbuße in Höhe von 20.000 SEK verhängen zu wollen, wenn die Veranstaltung durchgeführt wird. Sjöström erklärte am Montag, dass er Rechtsmittel einlegen will (3). Dieses Vorgehen würde die dringend notwendige rechtliche Prüfung des Pandemiegesetzes ermöglichen.
Für die kommenden Wochen sind in Schweden weitere Demonstrationen für die verfassungsmäßigen Bürgerrechte in Planung.
Stockholm, 8.3.2021