oder… Was kommt nach den Volksparteien?
Christoph Seils hat das Buch zwar schon 2010 veröffentlicht, es hat allerdings nichts von seiner Aktualität verloren, sondern durch die unvorhergesehene Flüchtlings-Entwicklung in unserm Land eine ganz besondere und brisante Aktualität erlangt.
Gut und treffend durchforstet Seils die Zeit nach dem 1. Weltkrieg mit den zu Recht so bezeichneten zwei Volksparteien CDU/CSU und SPD. Der Krieg hatte dem Image der Deutschen in aller Welt so tiefe Wunden geschlagen, dass es erst einmal darum ging, in der Welt Fuß zu fassen und den überlebenden Deutschen eine neue Richtung in die Zukunft zu weisen. Zerstörung, Kadavergehorsam und Scham waren gestern; Vergessen, Verdrängen und Neustart waren jetzt. Adenauer schien da genau der richtige Mann für die Nachkriegssuche nach einem gemeinsamen Etwas. Er bot den Deutschen das „C“ im Namen der Partei, das sich als „politisch-integrierende Wunderwaffe entpuppte“ und dem „Kapitalismus rhetorisch ein soziales Antlitz“ verlieh, welches dann auch tatsächlich von Ludwig Erhard mit seiner sozialen Marktwirtschaft und dem Ziel: „Wohlstand für alle“ umgesetzt wurde.
Adenauers uneingeschränkte Popularität verdankte er seinen politischen Taten: In einem Versöhnungsakt mit Frankreich unterschrieb er 1957 die Römischen Verträge zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Er reiste 1955 nach Moskau, im Gepäck hatte er die Freilassung von 30.000 Kriegsgefangenen. Innenpolitisch kann man ihn als Vorbild der heutigen Kanzlerin bezeichnen, die wie er keinen Wert legt auf eine demokratische Mitwirkung der eigenen Partei und des Parlaments, diese nur als Kanzlerwahlverein braucht.
Die SPD machte sich erst Anfang der 60er Jahre durch Willi Brandt zum Hoffnungsträger, der es dann 1969 auf den Kanzlerstuhl schaffte. Seine Außenpolitik mit dem Kniefall in Warschau bleibt unvergessen. Innenpolitisch ereignete sich ein sozialer Wandel, in dem auch Arbeiterkinder ins Gymnasium und in Universitäten einzogen, „die Löhne stiegen, die Arbeitsbedingungen verbessert wurden, jeder seine Aufstiegsmöglichkeiten finden konnte und die ‚Gastarbeiter‘ fortan die Drecksarbeit machten.“
Diese Volksparteien wirkten mit sicheren Mehrheiten und Ergebnissen bis etwa zu den Bundestagswahlen 2005 und 2009. „Weltweit wurde eine neoliberale Politik propagiert und die CDU glaubte, einen Teil ihrer politischen, personellen und programmatischen Wurzeln kappen, mit ihrer Geschichte brechen zu können.“ Auch die SPD verabschiedete sich von sozialen Errungenschaften und verriet ihre Wählerschaft durch Schröders Agenda 2010 und Hartz IV. Schon längst nicht mehr kamen die Politiker aus dem Volk (wie Blüm oder Beck) und fühlten sich als ihre Vertreter. Der Aufstieg der Mächtigen gestaltete sich wie folgt: Junge Union oder Jusos, Jura-Studium, Parteikarriere. Skandale wie schwarze Kassen, Vorteilsnahme, Korruption, Einflussnahme, Mauschelei, Vertuschungen, Spendenaffären bis hin zur parteipolitischen Einverleibung von Verfassungsschutzbehörden. Das alles verärgerte die Wähler und ließ – wie wir heute wissen – zur Resignation und Politikverdrossenheit auch noch Wut hinzukommen. Der Bürger begann, Machtmissbrauch, Selbstbedienung und die Erfüllung von Eigeninteressen auf politischer Ebene mit dem Entzug seiner Wählerstimme zu ahnden.
Seils beschreibt 2010 deutlich die Zukunftsängste der Deutschen, die sich heute alle bewahrheitet haben: Explodierende Staatsschulden mit schwindender Leistungsfähigkeit des Sozialstaates, steigende Energiepreise, soziale Spaltung, Konflikte, Kriege und Islam. Die Gesellschaft hat sich vollständig verändert. Familie, Arbeitsplatz, Kirche und Partei sind keine Sicherheitsgaranten mehr. Patchwork, Minijob und Lobby haben stattdessen die Felder besetzt.
Bei Kohl musste der Gürtel enger geschnallt werden, Schröder ging mit der Axt ans Soziale und Merkel rettet gleich ganze Staaten und Millionen „qualifizierter junger männlicher Arbeitskräfte“ aus Nordafrika und dem nahen Osten. Nicht zu vergessen, die halbe inzwischen durch Erdogan weggeputschte Türkei.
Volksparteien ohne Volk – Populismus mit Volk
Die Parteiendämmerung hat eingesetzt und wird sich weiter vollziehen. Ob es Merkel zum vierten Mal gelingen wird, aus ihren Floskeln und Worthülsen den Slogan für ihr nächstes Wahlprogramm zu stricken, konnte Seils derzeit noch nicht wissen. Seine Analysen, dass sich weitere kleine Parteien bilden, dass die Medien bei den politischen Inszenierungen mitspielen, wenn nicht sogar den Ton angeben und eine kompetente Erscheinung keine Kompetenz besitzen muss, haben sich bewahrheitet.
Die etablierten Parteien, die Pegida, Sarrazin und die AfD als Populisten beschimpfen, bedienen sich doch oft selber einer populistischen Redeweise. Was versprach Merkel 2008, als sie mit fast 500 Milliarden Euro die deutschen Banken rettete, zur Beruhigung den Wählern? Dass die Einlagen der Sparer und Sparerinnen hundertprozentig sicher seien – eine rechtlich völlig unverbindliche Absichtserklärung, wie es Seils nennt. Multikulti sei absolut gescheitert, tönte sie auch. Nichts als populistische Beruhigungspillen und das Reden nach dem Mund des Wählers.
Auf die Frage des Buchtitels „Was kommt nach den Volksparteien?“ gibt der Autor Antworten, die heute ihre Bestätigung finden. „Überall in Europa sind rechtspopulistische Parteien erfolgreich… Die Auseinandersetzungen über die Globalisierung und Europa, über internationale Militäreinsätze und Weltaußenpolitik sowie über die Einwanderung und den Islam können die etablierten Parteien nicht für die Mobilisierung ihrer Wähler nutzen… Kein Wunder, dass es 2010 in den 16 deutschen Landtagen zehn verschiedene Regierungskonstellationen gab… Die Veränderungen im Parteiensystem drängen mit Macht aus den Ländern in die Bundespolitik… Der Reflex der Parteien besteht in Krisensituaionen darin, sich auf ihre Grundüberzeugungen und auf traditionelle Werte zu besinnen. Wenn schon die Wähler sich abwenden, dann gilt es zumindest, die Basis zu besänftigen, die eigenen Reihen zu schließen. Das Kapitel Volksparteien in der deutschen Geschichte ist abgeschlossen… Der Ruf nach direkter Demokratie wird immer lauter.“
Eine kluge Vorausschau auf unsere heutige Gesellschaft und Parteienlandschaft. Da derartige Erkenntnisse die politischen Chefetagen allerdings nicht erreichen, wird der von Seils beschriebene Zustand durch Merkels alternativlose Brandbeschleunigungspolitik im Zeitraffer ablaufen.