Hayir-Sager (Nein-Sager) dürfen noch einen Tag lang träumen
„Die Welt erlaubt keine schwachen Regierungen!“ sagt ein Erdogan-Anhänger mit voller Überzeugung. Das Referendum, das Erdogan alle Macht zusichert, steht unter einem guten Stern. Alle Vorbereitungen sind im Sinne Erdogans abgeschlossen dank des Putsches, der, egal ob wirklich stattgefunden oder inszeniert, dem angehenden Demokrator alle Tore öffnete in Richtung Referendum.
Erdogan agierte wie am Fließband. In kurzer Zeit entließ er 100.000 Menschen und inhaftierte 7.000. Es wurden weit über 100 Journalisten verhaftet, rund 150 Medien geschlossen und mehr als 700 Presseausweise annulliert.
Erdogans Vorbereitungen für sein ersehntes Präsidialsystem wurden mit den Verhaftungen, Verfolgungen und Repressalien seiner Landsleute so weit getrieben, dass nur mutige Menschen dem über Monate aufgebauten Druck standhalten konnten. Die wenigsten trauten sich in der Türkei, mit ihrem Nein die Öffentlichkeit zu behelligen. Selbst hier in Deutschland gab und gibt es Bespitzelungen durch den türkischen Geheimdienst und die Imame, die bis in die deutschen Schulen reichen.
Wer glauben möchte, dass die Einführung des Präsidialsystems per Wahl am Sonntag abgelehnt werden könnte, glaubt auch, dass Erdogan ein Demokrat ist. Niemals wird es ein Diktator erlauben, dass ihn sein Volk mehrheitlich abwählt. Jede Wahl ist manipulierbar und erst recht unter diktatorischer Führung. Da wird eben gelogen, bestochen, erpresst und es werden Methoden erfunden, die den gewünschten Wahlausgang hervorbringen. Allein der Gedanke, dass Erdogan vor sein Volk tritt und ihm mitteilt, dass sein Traum von einem Präsidialsystem geplatzt sei, ist unvorstellbar.
Wer die schreckliche deutsche Geschichte des letzten Jahrhunderts kennt, wird schon heute Parallelen zur Entwicklung in der Türkei erkennen. Wer nicht spurt, Kritik äußert oder wie im Fall des Journalisten Deniz Yücel kriminelle Wahrheiten aufdeckt, hat verspielt, erhält den Titel Terrorist oder Agent und verliert seine Bürgerrechte. Yücels Anklageschrift ist 400 Seiten stark und niemand glaubt noch daran, dass dieser Mann mit einem fairen Verfahren zu rechnen hat.
Die Türkei unter Erdogan wird ein Unrechtsstaat bleiben und das Volk wird wie damals in Deutschland seinem Führer Huldigung und Verehrung zollen. An Feindbildern mangelt es ihm nicht. Die Türkei befindet sich schon heute mit allen prokurdischen Gruppierungen im Krieg, egal ob diese mit oder gegen den IS kämpfen.
Und was macht Deutschland? Es verhängt bei Demonstrationen der Kurden gegen Erdogan ein Flaggenverbot, um den Demokrator nicht zu provozieren. Zugeständnisse an Erdogan und unsere türkischen Mitbürger sind inzwischen das gängige Procedere, das sich Deutschland und Europa seit Jahren leisten – von Waffengeschäften mit diesem Land ganz zu schweigen. Aber wenn es um Geld geht, sind Menschenleben unwichtig. Das deutsche Rüstungsunternehmen Rheinmetall in Düsseldorf plant eine Tochterfirma in Istanbul, da die Bundesregierung wohl augenblicklich bei Waffengeschäften Zurückhaltung übt. Auf den Bau einer Panzerfabrik von Grundstein auf hat die Regierung keinen Einfluss.
Gegenüber der Rüstungsindustrie braucht es stärkere Kontrollen und neue gesetzliche Maßnahmen.
Aber auch in Deutschland macht sich die Demokratie schleichend vom Acker. Sowohl in einem Land, wo der Präsident stündlich präsent ist als auch bei uns, wo die Kanzlerin vollständig abgetaucht ist, hält das Volk seinen Dornröschenschlaf in der Wartestellung auf weiterhin gute Zeiten. Merkel und Erdogan werden unsere Länder schon (zugrunde)richten – der eine früher, der andere später.