Bottroper Apotheker – Mörder und Betrüger?
Was ist von Wertvorstellungen wie Ehrlichkeit, Vertrauen, Verlässlichkeit, Würde, Hilfsbereitschaft, Mitleid, Humanität und Moral in diesem Land noch zu finden, wenn auf der gegenüberliegenden Waagschale ein riesiger Sack Geld liegt? Für diesen Sack Geld entschied sich der Bottroper Apotheker Peter Stadtmann, als er all die genannten Werte „in die Tonne kloppte“, wie der Bottroper Volksmund es formulieren würde.
Einer der größten Medizinskandale nach Contergan fand über Jahre unbemerkt vor meiner Haustür statt. Jeder Krebspatient, der heute noch lebt, muss sich sorgenvoll fragen, ob auch er dem PanschPeter in die Hände gefallen ist. Dieser Kriminelle bereicherte sich dadurch, dass er fast 5.000 Kranke in sechs Bundesländern um ihre Krebsmedikamente betrog und ihnen damit die Chance auf Gesundung, auf Lebensverlängerung und Heilung nahm. Aus meiner eigenen Familie sind zwei Personen an Krebs verstorben, die ihre Medikamente aus der „Alten Apotheke“ des Besitzers Peter Stadtmann erhielten. Könnten sie heute noch leben, fragt sich die Familie, wenn Stadtmann nicht die Medikamente gestreckt und verdünnt hätte? Die Vermutung liegt bei vielen Betroffenen nahe, dass sie statt der vom Arzt verordneten Krebsmittel nur eine harmlose Glucoseflüssigkeit oder eine Kochsalzlösung bar jeder Beimischung eines Krebsmedikamentes erhielten. Betroffene berichteten von erschreckenden Auffälligkeiten ohne Nebenwirkungen, ohne Reaktion des Körpers, die sich in ihren Laborwerten als Verschlechterungszustände nach Einnahme der Panschcocktails aus Stadtmanns Apotheke darstellten.
Während der Gönner Stadtmann für das Hospiz in Bottrop großzügig spendete, in welchem die Opfer seiner Geldgier und Unmoral endeten, häufte er sein Vermögen mit den „Ermordungen“ der Krebspatienten weiter an. Allein bei den Krankenkassen bereicherte er sich um 56 Millionen Euro durch die Unterdosierung und Verunreinigung von Medikamenten und durch das Kassieren des vollen Preises. Peter S. wurde wegen gepanschter Krebsmedikamente in 60.000 Fällen angeklagt.
Das Einkaufen in Bottrop ist zu einem Schmerzakt geworden, denn auch heute strömen die Bottroper Dumpfbacken noch immer in die Apotheke, die sich weiterhin im Besitz der Familie Stadtmann befindet. Die Mutter hat als erste Maßnahme, nachdem ihr einziger Sohn verhaftet worden war, die zwei Mitarbeiter entlassen, die diesen Skandal durch Öffentlichmachen der Missstände in Gang gesetzt hatten und sicher noch nicht ahnten, welche Dimensionen ihre Geschichte freilegen würde. Es ist also vermutbar, dass auch die Mutter, die aus einer Apothekerdynastie stammt und diese Apotheke 2009 an den einzigen Sohn übergeben hatte, durch die intensive Bereicherung ihres Sprosses mit involviert war, mindestens aber Kenntnis darüber haben musste, dass die Geschäftspraktiken ihres Sohnes außerhalb der Legalität anzusiedeln waren.
Dieser Skandal hat außer Peter Stadtmann und seinen Eltern viele Mitspieler. Ärzte, Kliniken, das Gesundheitsamt, die kommunalen Medien und Politiker sowie die Landespolitik haben versagt und sich an Tausenden von Patienten schuldig gemacht. Immer dann, wenn sich hinter der Kriminalität Reichtum befindet, der auch schon mal als Spende hier und dort in einigen oft gierigen Händen landet, sind Schweigen und das Herunterspielen von Tatsachen die Vorsichtsmaßnahme der Stunde. Und wie man vor der Apotheke stehend feststellen kann, strömt die hirnfreie Kundschaft auch weiterhin rein und raus, ohne sich mit den Opfern, den Kranken und Toten, die Stadtmann zu verantworten hat, solidarisch zu erklären.
Sterbende und Körperverletzte reichten Stadtmann nicht. Weiterer Betrug zwecks privater Geldvermehrung standen auch noch auf seinem Programm. Mit einem illegal betriebenen internationalen Medikamenten-Großhandel häufte er sein Vermögen skrupellos an. Er kaufte Medikamente bei wenigen Firmen an, ließ sie woanders umverpacken und verkaufte sie dann nach Dänemark und Schweden. So machte er sich durch Monatsumsätze bis zu 600.000 Euro bei seinem Lieferanten Noveda einen Namen als Arzneimittelhändler und genoss sogar den Sonderstatus, selbst woanders gekaufte Medikamente dort wieder eintauschen zu können.
Warum fliegt so etwas nicht früher auf? Wo sind die Kontrollen, die das alles verhindern könnten? Fehlanzeige! „Kein Bereich im deutschen Gesundheitswesen bietet so viel Potenzial für mafiöse Strukturen wie das Geschäft mit Krebsmedikamenten. 500.000 Menschen erkranken in Deutschland jährlich an Krebs. Studien besagen: In ein paar Jahren wird jeder zweite Deutsche im Alter an Krebs erkranken. Die Branche setzt jedes Jahr vier Milliarden Euro um. Diesen Markt teilen sich ein paar Dutzend Pharmahändler, 1.500 niedergelassene Onkologen und Hämatologen sowie die knapp über 200 Apotheker, die Krebsmedikamente herstellen dürfen. Ein Eldorado für gierige Apotheker.“
Gestern begann der Prozess vor dem Essener Landgericht. Das Vermögen des Angeklagten wird wohl einige Starverteidiger auf den Plan befördern. Vermutlich darf einem heute schon übel werden, wie die Rechtsverdrehung mal wieder gelingen wird, um den gleichgültigen und schweigenden Straftäter zu schützen und die Opfer hinten rüberfallen zu lassen. Erstaunlicherweise wurden erwa 20 Betroffene als Nebenkläger zugelassen. Anders als beim Contergan-Skandal, bei dem die lebenden Beweise mit ihren Behinderungen nicht wegzudiskutieren waren, werden sich die Verteidiger des Peter Stadtmann genügend Spielchen zur endlosen Verlängerung dieses Strafprozesses einfallen lassen können, bis auch der letzte Nebenkläger seinem Schicksal, und NUR seinem Schicksal erlegen ist. Und wie es einem Reichling ergeht, der Millionenbeträge per Steuerhinterziehung oder per Betrug ergaunert, ist doch allgemein bekannt. Uli Hoeneß ist an seinen alten Platz zurückgekehrt und Frau Stadtmann schreibt weiter Rechnungen, um die noch nicht beglichenen Beträge für die gepanschten Krebsmedikamente einzutreiben.
Meine Anerkennung zolle ich den zwei Menschen, die als Whistleblower mit ihrem Verdacht an die Öffentlichkeit traten und Anzeige erstatteten. Es sind der Schulkollege des Angeklagten, Martin Porwoll, der als Buchhalter bei Stadtmann seit 2014 arbeitete und die pharmazeutisch-technische Assistentin Marie Klein, seit 2015 Mitarbeiterin im Pansch-Labor des Angeklagten. Das Schweigen, das sich ihr Chef mit besten Löhnen erkauft hat, die er seinen Mitarbeitern zahlte, funktionierte bei diesen Menschen nicht.
So wie man ihnen für ihren Mut danken muss, darf man sich ebenso die Frage stellen, warum zwei Labormitarbeiterinnen weiterhin in der „Alten Apotheke“ tätig sind. Sie waren neben Stadtmann für die gepanschten Infusionen verantwortlich. Für 21 der fehlerhaften Proben unterzeichnete die pharmazeutisch-technische Assistentin S., für zwei weitere ihre Kollegin G.
Geld stinkt eben nicht. Bei 60 Mitarbeiternasen, die Stadtmann beschäftigte, fing es nur in zwei Nasen an zu stinken. Ich hoffe, ihnen bald persönlich begegnen zu dürfen.