Faschismus fällt nicht vom Himmel
Am 26. Januar hielt Marion Schmidt, eine wahrhaftige Antifaschistin, langjährige Mitarbeiterin der Gedenkstätte Dachau, in München bei einer Demo eine Rede, die den Verlust ihres Arbeitsplatzes zur Folge hatte mit der Begründung, sie habe eine „Verharmlosung des Nationalsozialismus und seiner Opfer“ betrieben, weil sie eine „Faschisierung“ von Politik und Gesellschaft beklagte. Wer, wenn nicht sie als Hüterin einer schrecklichen deutschen Geschichte, hätte mehr Recht, vor einem aufkeimenden Faschismus zu warnen?
Sie beklagt vor allem den Ausverkauf des Rechtsstaats durch politische Eliten, die sich multinationalen Konzerninteressen mehr verbunden zu fühlen scheinen als den Bedürfnissen einer heterogenen Bevölkerung in einer offenen, demokratischen Gesellschaft.
Jedem Historiker, jedem Faschismus-Forscher, jedem Psychologen, ja selbst jedem Menschenkenner wird klar sein, dass sich ein solches Desaster wie das „Deutschland des Dritten Reiches“ durchaus wiederholen kann und es gibt Diskussionen darüber, ob gerade die Deutschen mit einer besonderen Charakterschwäche und Anfälligkeit für faschistoide Entwicklungen ausgestattet sind.
Der polnische Journalist und Auschwitz-Überlebende Marian Turski gab in einer beachtenswerten Rede zwar dazu keine Antwort. Er hält allerdings das Aufkommen von Faschismus auch zukünftig für möglich. Dieser würde wohl kaum im bekannten deutschen Nazi-Gewand daherkommen und er würde auch nicht „vom Himmel fallen“, doch er könnte sich in vielerlei anderen Verkleidungen überall auf der Welt entwickeln.
Um das zu verhindern, gäbe es ein 11. Gebot, mahnte Turski. Das lautete: Sei nicht gleichgültig! Denn die Gleichgültigkeit gegenüber schleichend voranschreitenden Ausgrenzungen und Grundrechtsbeschränkungen von Minderheiten sowie die Gleichgültigkeit gegenüber Warnungen vor Parallelen, wie sie Holocaust-Überlebende wie Vera Sharav (oder jetzt auch Marion Schmidt) aussprechen, führten in die erste Gefahrenzone einer faschistischen Entwicklung.
Auf die gesellschaftlichen Gefahren, einen faschistischen Weg einzuschlagen, hat 1995 bereits der italienische Schriftsteller und Intellektuelle Umberto Eco hingewiesen. ”In der modernen Kultur würdigt die wissenschaftliche Gemeinschaft den Dissens als einen Weg zur Verbesserung des Wissens. Für den Urfaschismus ist Widerspruch Verrat“, hieß es bei ihm.
Allein dieser Satz kennzeichnet unsere heutige Zeit und entlarvt das politische Establishment als Grenzgänger hin zum Faschisten. Vorne an Angela Merkel, von der Leyen und Wieler mit Äußerungen wie: „Hören Sie nur auf die Experten!“ und „Sie dürfen das nicht hinterfragen.“
Dazu Eco: „In der Demokratie ist die Uneinigkeit ein Zeichen der Vielfalt. Wächst Faschismus heran, sucht er nach einem Konsens, indem er die natürliche Angst vor Andersartigkeit ausnutzt und verschärft. Der erste Appell einer faschistischen oder vor-faschistischen Bewegung ist ein Appell gegen die Störer.
Der Ur-Faschismus basiert auf einem selektiven Populismus, einem qualitativen Populismus, könnte man sagen. In einer Demokratie haben die Bürger individuelle Rechte, aber die Bürger in ihrer Gesamtheit haben nur in quantitativer Hinsicht einen politischen Einfluss – man folgt den Entscheidungen der Mehrheit. Für den Urfaschismus hingegen hat der Einzelne als Individuum keine Rechte, und das Volk wird als eine Qualität konzipiert, als eine monolithische Einheit, die den Willen der Allgemeinheit ausdrückt. (…) In unserer Zukunft gibt es einen Fernseh- oder Internetpopulismus, in dem die emotionale Reaktion einer ausgewählten Gruppe von Bürgern als Stimme des Volkes präsentiert und akzeptiert werden.“
Die Rechte des Einzelnen auf informierte Entscheidung werden heute als „egoistisch und unsolidarisch“ dargestellt, auch wenn mittlerweise zahlreiche Warnungen von Wissenschaftlern Realität geworden sind.
Marion Schmidt hat zu recht bei ihrer Rede den Finger in die Wunde gelegt – und was passiert? Der Faschist schreit auf, weil er entlarvt ist.
Auch Umberto Eco mahnt im Sinne Marion Schmidts: „Der Urfaschismus kann in den harmlosesten Verkleidungen zurückkehren. Unsere Aufgabe ist es, ihn zu entlarven und mit dem Finger auf jede seiner neuen Erscheinungen zu zeigen – jeden Tag, in jedem Teil der der Welt.“
Solidaritätserklärung: Zur ungerechtfertigten Kündigung von Marion Schmidt, durch die Stiftung Bayrischer Gedenkstätten – www.Petitionen.com