Warnung vor Türkeireisen?
Auf die Frage an den Außenminister Sigmar Gabriel, ob er eine Reisewarnung in die Türkei aussprechen werde, musste der Zuhörer schon pfiffig genug sein, um das Gedrehe und Wortgewurschtel letzlich als Warnung zu verstehen.
Muss wirklich erst eine obere Instanz Weisungen erteilen oder Warnungen aussprechen, damit der Bürger seine Urlaubsabsicht mit dem Ziel Türkei überdenkt, streicht oder gar nicht erst in Erwägung zieht?
Dass die türkischstämmigen Menschen, die Erdogan lieben und unterstützen, in ihrer Heimat Urlaub machen, ist verständlich. Dass allerdings der Normalbürger keinen Solidaritätsbeitrag für die Tausenden von unschuldig Inhaftierten in der Türkei leistet, indem er die Türkei als Urlaubsland vorübergehend meidet, ist schon ein starkes Stück. Natürlich ist der Urlaub dort billiger geworden, weil sich sowohl Inländer als auch Ausländer nicht unbeschwert sicher fühlen können. Ich finde, dass wir es den Türken und Deutschen, die durch Erdogan ihr normales Leben und ihre Freiheit verloren haben, schuldig sind, ein Zeichen zu setzen und Erdogans augenblickliche Türkei zu meiden. Schließlich sitzen auch schon Deutsche dirt in Haft oder dürfen das Land nicht verlassen.
Wie aber denken die deutschen Türkei-Touristen darüber? Eine Antwort blendete vor wenigen Tagen die Tagesschau ein. Auf dem Flughafen wurden Türkei-Reisende befragt. Sie gaben ein mulmiges Gefühl zu, fanden aber, dass kein Urlaub im Augenblick günstiger sei als der in der Türkei und sie deshalb ihr mulmiges Gefühl verdrängen. Eine wahrhaft reife politische Einstellung!
Skandalöse Türkei-Politik von allen Seiten
Und wenn das beliebte Argument kommt, dass doch die Menschen nichts für die Politik Erdogans können, dann widerspreche ich diesem Argument ganz massiv. Es sind doch immer nur die Menschen, die eine solche Politik zulassen. Die Geschichte lehrt uns, dass durch Revolutionen, Putsche und Bürgerkriege, aber auch durch eine friedliche Revolution wie in Ostdeutschland passiert, Menschen Kräfte entwickeln können, die das politische Ruder rumreißen können.
Ich kann nicht anders als an Hitlers Säuberungs- und Gleichschaltungswahn nach der nationalsozialistischen Machtergreifung im Jahre 1933 zu denken. Denn die Maßnahmen Erdogans nach diesem selten laienhaften Putsch, die ad hoc aus Erdogans Ärmel gezogen wurden, sind kriminell. Hunderte von Generälen, Tausende von Offizieren aus den Streitkräften entlassen, über 30.000 Personen festgenommen. Die Gefängnisse müssen Kriminelle entlassen, um Platz für sie zu schaffen. 3.000 Staatsanwälte und Richter, insgesamt 70.000 Staatsbeamte wegen angeblicher Zusammenarbeit mit der Gülen-Bewegung arrestiert, suspendiert oder gefeuert. 1.600 Hochschuldekane und 4.000 Akademiker auf die Straße gesetzt. Zig kurdische Oppositionspolitiker festgenommen. 20.000 Lehrer an Privatschulen verloren ihren Job, von den Journalisten, die in Gefängnissen sitzen und den verbotenen und geschlossenen Zeitungsverlagen Radiostationen und Fernsehsendern ganz zu schweigen.
Dass Erdogan den Flüchtlingsdeal mit Merkel aufkündigt, hält Theo Sommer, Kolumnist der Zeit, für unwahrscheinlich. „Ankara wird nicht auf die sechs Milliarden Euro verzichten wollen, die ihr die EU bis 2018 zur Linderung der Flüchtlingsnot zukommen lassen will. Schon gar nicht könnte das Land die Euro-Milliarden verschmerzen, die ihr die Brüsseler Gemeinschaft jedes Jahr als Vor-Beitrittshilfe zufließen lässt (von 2007 bis 2013 waren das 4,795 Milliarden; für 2014 bis 2020 sind 4,453 Milliarden eingeplant).“
Henryk M. Broder bezeichnet die deutsche Türkeipolitik als skandalös und erst recht die 700 Millionen Euro jährlich, die zum Zwecke der „Förderung von Demokratie, Zivilgesellschaft und Rechtsstaatlichkeit“ ins Erdogan-Land fließen.
Das Kind muss einen Namen haben und die Europäische Union ihre Berechtigung. Selbst dann, wenn die Gelder für den Bau des Prunkpalastes eines Autokraten verwendet werden.
Hilfe, Oettinger kommt!
Für Erheiterung in dieser Tragödie sorgt unser europäischer Komiker Günther Oettinger, der wahrscheinlich auf Weisung seiner Landeschefin Angela Merkel zur Sicherung ihrer Wiederwahl und aus Angst vor Erdogans „Schleusenöffnung“ schon jetzt darauf hinweist, dass Erdogan noch auf der europäischen Gehaltsliste steht.
Insgesamt sechs Milliarden Euro hat die EU der Türkei im Rahmen des Flüchtlingsabkommens bis 2018 zugesagt. Diese sollen für die Unterbringung und Ausbildung der Flüchtlinge verwendet werden. (Dazu ein Bericht über Flüchtlinge in der Türkei.)
Deutschland steuerte im Rahmen des Flüchtlingsdeals den Angaben zufolge bislang etwa 500 Millionen Euro von den ersten drei Milliarden bei, EU-Experten gehen jedoch davon aus, dass Berlin bei der zweiten Zahlaktion deutlich mehr zahlen muss. Kein Problem! Der Überschuss der deutschen öffentlichen Haushalte im ersten Halbjahr 2017 beträgt 18,3 Milliarden. Ein Klacks also für den großen Finanzboss Wolfgang Schäuble, die drei Milliarden an Erdogan zu zahlen und auch gleich die 14,3 Milliarden Haushaltsanteil an Brüssel zu überweisen. Dann hat die Oettinger-Seele endlich Ruh‘ und er kann den nächsten Blödsinn verkünden.