Schultheater NRW: Schüler gegen Lehrer
Ein schulischer Vorfall in einer Neusser Realschule hat hohe Wellen geschlagen.
Der Realschullehrer Phillip Parusel wurde durch die Anzeige der Eltern eines 13-jährigen Schülers vor Gericht zitiert, um sich dort für sein Verhalten während einer Musikstunde zu rechtfertigen. Die Schüler hatten ihre Unlust durch Disziplinmangel und Faxen kundgetan, worauf Parusel ihnen die schriftliche Aufgabe abverlangte, aus Wikipedia einen Text über den Geiger Paganini abzuschreiben. Wer zum Ende der Stunde nicht fertig war, durfte den Klassenraum nicht verlassen, sondern musste erst seine Aufgabe erledigen. Schüler hatten aus diesem Grund die Polizei gerufen, die diese Situation auflöste. Dieser Lehrer landete nun wegen Freiheitsberaubung vor Gericht.
„Mit einem milden Urteil ist am Neusser Amtsgericht der viel beachtete Prozess gegen einen Kaarster Musiklehrer zu Ende gegangen. Richter Heiner Cöllen verurteilte den 50-jährigen Phillip Parusel wegen Freiheitsberaubung, beließ es am Ende aber bei einer Verwarnung. Gleichzeitig entschied er, dass der Lehrer eine Fortbildung zum besseren Umgang mit schwierigen Schülern belegen muss. Macht er das innerhalb eines Jahres nicht, muss er 1000 Euro Geldstrafe zahlen.“
NRW = N_arren, R_ichter und W_eicheier ?
Was sagt man zu solch einer Posse? Nicht zu glauben, was seit Jahrzehnten im schulischen Alltag so abläuft. Und NRW nimmt da wie schon immer eine Position des Irrsinns ein. Zwei Dinge sind für mich von Relevanz in der Schüler-Lehrer-Beziehung: Sexueller Missbrauch und körperliche Gewalt an Schülern gehören zur Klärung, Bestrafung und eventuell Beseitigung des betreffenden Lehrers vor Gericht. Alles andere muss in Gesprächen zwischen Schüler, Eltern, Lehrer, Schulleitung geklärt werden. Wo kommen wir denn da hin, wenn eine Bestrafung wie hier, die Stunde wegen Disziplinlosigkeit von Schülern und deren Leistungsverweigerung zu verlängern und sie deshalb am eigenmächtigen Verlassen des Klassenraumes zu hindern, zu einer Polizeiaktion und der Verurteilung des Lehrers führt? Da bürden Politik und Schulministerium den Lehrern ein Bündel an Forderungen auf, entreißen ihnen aber gleichzeitig ihre Autorität, mit entsprechenden Sanktionen auch für einen geregelten Unterrichtsablauf Sorge zu tragen.
Bildung für jeden, (Nachtrag siehe unten) Erziehung für die Vernachlässigten, Disziplin für die Unerzogenen, Förderung für die Schwachen, Inklusion für die Behinderten, Verständnis für die Faulen, Integration für die Migranten, Vorbild für die Gesellschaft, Gleichbehandlung aller Schüler, Verhinderung der Bevorzugung, Sonderförderung für die Begabten, gerechte Beurteilung der Schülerleistungen, Zusammenarbeit mit den Eltern, Teamwork mit den Kollegen, Umsetzung schulischer Programme, Beherrschung eigener Emotionen sind nur Teile des Bündels, das sich jeder Lehrer jeden Morgen auf seinen Buckel packt.
Klar, das kann doch wohl von einem Pädagogen verlangt werden, dass er diese Eigenschaften in seinem Sortiment hat, oder? Selbstverständlich! Vergessen bleibt bei dieser Sicht der Dinge aber zumeist die Frage, welche Fähigkeiten eigentlich die Schüler mitzubringen haben? Einhellige Antwort darauf: Ihr Smartphone! Ob an das Sportzeug, die Hausaufgaben oder das Frühstück gedacht wurde, ist zweitrangig. Ob es an Benehmen, Disziplin oder Höflichkeit fehlt, spielt auch keine Rolle. Welche Reaktionen der Lehrer darauf tätigen soll, bleibt seit Jahrzehnten unbeantwortet.
Schüler sein ist nicht schwer, Lehrer sein dagegen sehr
Mein Lehrerdasein in 30 Jahren hat Eintragungen in Personalakten von Kollegen erlebt, das Krank-Mobben einer Kollegin, die frühzeitig aus dem Dienst schied bis hin zu der Forderung der Schulaufsichtsbehörde, die dem Druck einer Mutter nachgab, die Diktatzensur einer Schülerin von „mangelhaft“ auf „ausreichend“ zu verändern, was die betreffende Lehrerin zur Kündigung veranlasste.
Meine Erlebnisse in NRWs Haupt- und Grundschulen sind nachzulesen in meinen Bildungsbüchern aus den Jahren 2003 und 2005. Erschreckend, was 10 Jahre nach Erscheinen meiner Bücher über das vermaledeite deutsche Schulsystem zu lesen ist: „Schulsysteme in Deutschland sind nach oben zu wenig durchlässig: Es gibt mehr Abstiege als Aufstiege“ – so beschreiben die Schulforscher ein zentrales Wesensmerkmal der Merkelschen „Bildungsrepublik“ im Jahr 2012.
Na dann, liebe Kollegen, lasst die 1000 Schulleiterstellen ruhig unbesetzt. Die Gerichte und Richter werden es Euch danken. Ein Job als Tausendsassa im Zirkus ist weniger gefährlich und schont die Nerven.
(Nachtrag zu „Bildung für jeden“: Link geblockt oder beseitigt – Zensur?)