Ratsherr Guido Reil tritt aus der SPD aus
Der 48-jährige Essener Guido Reil, Steiger auf Prosper-Haniel in Bottrop, trat nach 26 Jahren Mitgliedschaft und intensiver Arbeit in der SPD 2016 aus seiner Partei aus und wenig später in die AfD ein.
Er wurde schnell zur Symbolfigur eines Teils der SPD-Basis im Ruhrgebiet, die sich von ihrer SPD längst nicht mehr vertreten fühlt und den parteioffiziellen Kurs in der Flüchtlingsfrage ablehnt. Nachdem der Rat der Stadt Essen die Flüchtlingsverteilung in geplanten Großunterkünften verstärkt im sozial schwachen und schon durch 40 % Ausländeranteil belasteten Norden vorsah, planten drei Lokalverbände der SPD unter dem Motto „Genug ist genug: Integration hat Grenzen, der Norden ist voll“ eine Demonstration. Der Aufschrei, der am lautesten aus der eigenen Partei kam, beugte sich anschließend dem Diktat der Hannelore Kraft. Sie beendete das Protestvorhaben, indem sie – verbindlich für die gesamte SPD – die einzig legitime Meinung vertrat: „Protestaktionen, die eine Willkommenskultur für Flüchtlinge in Frage stellen könnten, lehnen wir entschieden ab. Das schadet dem Ansehen der SPD insgesamt.“
Im Mai 2016 erklärte Reil seinen Austritt aus der SPD in facebook:
„Ich hab gerade auf der Vorstandssitzung des SPD Ortsvereins Karnap meinen Freunden und Genossen erklärt, dass ich mit sofortiger Wirkung aus der SPD austrete. Es war mir wichtig, dies den Menschen, die mir am Herzen liegen persönlich mitzuteilen. In den letzten Tagen habe ich diesen, für mich sehr schweren Schritt mit meinen engen Freunden und meiner Familie besprochen. Ich verlasse die SPD nach 26 Jahren. Sie war für mich Familie und ein Teil meiner Identität. Nach reiflicher Überlegung muss ich mir aber eingestehen, dass ich mit dem grundsätzlichen Kurs der SPD nicht mehr leben kann.
Wir waren mal die Partei der sozialen Gerechtigkeit, aber im realen Handeln merke ich davon leider nichts mehr. Wir waren die Partei der Arbeiter, ihre Interessen vertreten wir aber gar nicht mehr.
In Essen sind gerade mal 9% der Mitglieder noch klassische Arbeiter, obwohl die SPD als revolutionäre Arbeiterpartei begann, dann in eine bürgerliche Arbeiterpartei überging. Seit Jahren gelingt es ihr kaum noch, sich in die Situation des einfachen Arbeiters hinein zu versetzen. In der Flüchtlingspolitik haben wir uns endgültig und völlig von der Realität verabschiedet…
Danke an alle, die mich in über 2 ½ Jahrzehnten begleitet, er- oder getragen haben. Es ging mir immer um meine Partei, der ich mit Herzblut verschrieben war. Der Schritt, den ich heute gehe, ist vielleicht der schwerste meines Lebens, aber ich kann leider nicht anders und ich werde keinen falschen Weg mit beschreiten.“
Jetzt Mitglied bei der AfD
Das war im Mai 2016. Zwei Monate später wurde er Mitglied auf Probe bei der AfD, mittlerweile ist er Direktkandidat im Essener Norden für die NRW Landtagswahl im Mai 2017. Auf der Landesliste steht Reil auf dem eher unsicheren Platz 26.
Wie erwartet ist Reil nicht nur Kritik, sondern auch massiven Beleidigungen und Beschimpfungen ausgesetzt. Natürlich bedienen sich seine Kritiker üblicher, politisch gewollter und erlaubter Mittel, die ihn in die rechte Ecke zu den Nazis und Rassisten stellen und ihn als Mensch diskreditieren. Die damalige Talk-Runde bei Lanz machte es auf perfide Weise deutlich.
Wie verblendet muss die „deutsche Intelligenz“ eigentlich sein, einem überzeugten linken SPD-Kommunalpolitiker ein Abdriften nach rechts unterschieben zu wollen. Dort, wo Reil mit seiner Kritik gegen die Wand lief, wo seine sozial geprägte Arbeit für die Stadt und ihre Menschen von der eigenen Partei boykottiert wurde und Vorschläge überhört wurden, suchte Reil wohl schon länger nach der SPD, in die er vor einem Vierteljahrhundert als Interessengemeinschaft für den „kleinen Mann“ im Ruhrgebiet eingetreten war. Und einem Steiger im Bergbau Rassismus und Fremdenfeindlichkeit unterstellen zu wollen, ist ja wohl irrsinnig, denn wenn es eine funktionierende Multikulti-Realität gab, dann doch wohl auf den Zechen des Ruhrgebiets.
Reil: „Wir schaffen es (Integration) nicht.“
Wer das WAZ-Interview des SPD Ratsherrn Guido Reil vom 8. Januar 2016 aufmerksam liest, wird sich seiner Kritik in vielen Punkten anschließen, ohne rechts, Nazi oder Rassist zu sein. „Wir schaffen es nicht“, sagt er im Interview. „Uns wird ja auch erzählt, man könne eine Million arabischstämmiger Männer auf dem deutschen Arbeitsmarkt integrieren. Wer glaubt denn sowas? Das widerspricht doch jeder Erfahrung. … Es herrscht in diesem Land ein bedrückendes Meinungsklima. Es gibt eine fast panische Angst, in die rechte Ecke gestellt zu werden. Ich finde das schlimm. Ich habe aber beschlossen, kein Blatt mehr vor den Mund zu nehmen.“
Und das wünschte man sich von jedem Politiker und jeder Politikerin, dass er/sie authentisch sei und glaubwürdig im Umgang mit den Wählern und aus der eigenen Meinung – so er/sie denn eine hätte – keine Mördergrube machte. Genau das aber ist der politischen Klasse verloren gegangen, nämlich authentisch und glaubwürdig zu sein. Es wird geschwiegen, gelogen, abgenickt und beschwichtigt, um bequem im Strom der Partei mitzuschwimmen, nicht negativ aufzufallen und dem monatlichen Kontostand keinen Schaden zuzufügen.
Sollte sich nun ein Mitglied eine eigene Meinung bilden und diese auch noch lauthals verkünden, wird die „Richtigstellung“ der vorher nickenden Menge nicht lange auf sich warten lassen. Und so hörte Guido Reil nur drei Tage nach seinem Interview den Vorwurf des Bundestagsabgeordneten Dirk Heidenblut, dass Reil außer einem allgemeinen Bejammern, garniert mit einer „gehörigen Portion Fremdenfeindlichkeit“, nichts zu bieten hätte. Und die Essener SPD-Mitglieder, die zuvor noch das Gespräch mit Reil gesucht hatten und diesen in den Glauben versetzt hatten, dass er für die Mehrheit sprach, bezeichneten ihre Offenheit später nur als persönlich geäußerte Meinung, die keine SPD-Meinung für die Öffentlichkeit hat sein sollen.
Was, fragt man sich, soll an den Sätzen Guido Reils falsch sein, wenn er sagt: „Ich mache seit 1999 Kommunalpolitik und erzähle den Leuten seither, warum dieses nicht finanzierbar ist und jenes leider aus Geldmangel verkommt. In der Bezirksvertretung scheitern Vorhaben an fehlenden 500 Euro. Jetzt kommen die Flüchtlinge (Die Stadt Essen zahlt bis zu 9400 Euro für Unterbringung von Flüchtlingen – pro Person) und da spielt Geld plötzlich keine Rolle mehr. Die Leute fragen sich, woher hat die öffentliche Hand eigentlich plötzlich die 102 Millionen Euro für den Bau von Siedlungen? In einer Stadt, die völlig verschuldet ist? Wie soll ich das den Menschen erklären?“
Der Journalist Marko Rösseler gibt in seiner Dokumentation, die der WDR kürzlich ausstrahlte, auf solche und weitere Fragen eine erschreckende Antwort, die das jahrzehntelange Versagen der Politiker auf kommunaler und Landes-Ebene, speziell der SPD beweist.