Wie ungebremster Lobbyismus die Demokratie gefährdet

Zusammenfassung: Lobbyreport 2017

Der Lobbyismus ist ein Zusammenspiel von Staat und Interessengruppen und bietet Firmen, Verbänden, Berufsgruppen, Industrie, Wirtschaft und Organisationen Möglichkeiten zur Einflussnahme auf Entscheidungen und Gesetze. Während ein transparentes und begrenztes Verhältnis von Staat und Lobby in Verbindung mit Überwachung und Regulierung als notwendig und bereichernd für Politik und Gesellschaft angesehen wird, zerstört ein ungezügelter Lobbyismus Wohlstand und Demokratie. Schließlich können auch Umwelt, Gesundheit und Vertrauen durch ungebremste Einflussnahmen Schaden nehmen wodurch die Demokratie in eine Schieflage versetzt wird. Kuschelkurse von Politikern mit Lobbyisten verhindern Aufklärung, Objektivität und Gradlinigkeit und hinterlassen beim Bürger einen faden Geschmack. „Wenn viele Menschen sich nicht angemessen gehört und politisch vertreten fühlen, kommt es zu einer gefährlichen Schieflage und Polarisierung der Gesellschaft.“ (S. 7) Und so dürfen sich Politik und Lobbyisten aus meiner Sicht gemeinsam eine Schuld für das Abdriften demokratischer Werte und Spaltungstendenzen der Gesellschaft an die Brust heften. Der Moloch Europa hat durch seine Entscheidungsbefugnisse, die er den nationalen Parlamenten entzogen hat, einer Lobbywelt Tür und Tor geöffnet, die sich in den von der Kommission zur Kompetenzbeschaffung angeheuerten 800 Beratungsgremien tummelt. „Das Fehlen einer klassischen Opposition mit ihrer Kontrollfunktion, eine schwach ausgeprägte Öffentlichkeit sowie mangelnde demokratische Beteiligungsmöglichkiten erleichtern die Lobbyarbeit außerhalb des Blickfeldes öffentlicher Kontrolle und Kritik.“ (S. 9) In einem Staat, in dem Politik nur in der Kommunikation themenbezogener Elitezirkel stattfindet (TTIP, Diesel, Glyphosat usw.), werden die Bürgerinteressen mit Füßen getreten und die Demokratie zu Grabe getragen.

Wo tausend Lobbyisten nur das eine Ziel verfolgen, ihre Wünsche, ihre Ziele und ihr Machtpotenzial in Gesetzestexte zu gießen, ist Tranzparenz durch ein Lobbyregister unumgänglich, um die Einflüsse sichtbar zu machen. Das wurde allerdings von Schwarz-Rot in 2016 abgelehnt. Inzwischen liegt ein SPD-Entwurf für ein Lobbyregister vor. Die zwei Parteien, die sich in der Blockadehaltung befinden, sind die Union und die FDP.

LobbyControl schlägt vor, ergänzend zum Lobbyregister eine Legislative Fußspur (S. 16) einzuführen. „Sie würde konkret sichtbar machen, welche Interessenvertreter/innen auf welche Weise an der Erarbeitung von Gesetzentwürfen beteiligt waren.“ Halbherzig verfasste Lobbyregister mit Ausnahmeregelungen, wie es gerne wie zum Beispiel auch beim Mindestlohn verfasst wird, beseitigen nicht die Problematik von Gesetzestexten durch Lobbyhand, wie 2007 passiert beim Cum/Ex-Skandal mit zehn Milliarden Euro Schäden für den Steuerzahler.

Die Bilanz von vier Jahren Schwarz-Rot sieht laut Verein „LobbyControl“schlecht aus. Als allgemeines Urteil beschreibt der Verein den Lobbyismus in Deutschland als intransparent und schlecht organisiert. Notwendige Reformen wurden durch die Union blockiert, sodass weder ein verpflichtendes Lobbyregister noch Transparenzen in der Parteifinanzierung und Gesetzgebung angegangen wurden. Als „Aussitzen statt Anpacken“ charakterisiert LobbyControl die letzte schwarz-rote Legislaturperiode.

Zur Lobbyregulierung gehören ebenfalls Regeln für den Seitenwechsel (S. 20) von Politik in die Wirtschaft, zu Unternehmen, Banken, Verbänden. Eine zu schwache Karenzzeitregelung existiert, es besteht aber weiterer Handlungsbedarf. Seitenwechsler wie Ronald Pofalla, Dirk Niebel und Franz Josef Jung sind der Öffentlichkeit bekannt, andere agieren im Verborgenen. So befinden sich inzwischen etliche Topleute aus dem engen Umfeld der Bundeskanzlerin in Diensten der Autoindustrie. Der wichtigste, Staatsminister Eckart von Klaeden, ging als Cheflobbyist zu Daimler. Interessenkonflikte sind so natürlich vorprogrammiert. Ein halbherziges Gesetz (Karenzzeit 12 Monate, Bundesregierung entscheidet, keine Sanktionen bei Nichteinhaltung, Gremium aus drei (fragwürdigen) Mitgliedern sind Mitentscheider) wird keinen Seitenwechsel verhindern. Ein Blick nach NRW offenbart gerade den Eintritt der ehemaligen Ministerprädidentin Hannelore Kraft in den Aufsichtsrat von RWE.

Ein großes Thema ist und bleibt die Parteienfinanzierung, von LobbyControl als „Dunkelkammer der Demokratie“ bezeichnet. Die Geldgeber bleiben bis heute und das trotz des „Kohl-Skandals“ weitestgehend anonym, obwohl das Grundgesetz in Artikel 21 Abs. 1 Satz 4 die Information über Herkunft und Verwendung der Gelder verlangt. Die praktische Handhabe ist jedoch eine intransparente. Parteien müssen Spenden erst ab einer Größenordnung von 10.000 Euro in ihren Rechenschaftsberichten veröffentlichen. Das hat zwei Jahre Zeit bis zur Veröffentlichung. Dann weiß niemand mehr, ob zwischen Spende und politischer Entscheidung ein unzulässiger Zusammenhang bestand. Nur Einzelspenden ab 50.000 Euro müssen sofort angezeigt werden, was durch Stückelung, also Trickserei verhindert werden kann, aber nicht muss. Nach der Wahl 2013 flossen von der BMW-Eignerfamilie Quandt-Klatten 690.000 Euro Großspende in die CDU-Kasse und 210.000 Euro an die FDP, wovon die Parteien schon weit vor den Wahlen in Kenntnis gesetzt waren. Gelder für Wahlkampfunterstützung unterliegen keiner Transparenzpflicht und bleiben somit völlig im Verborgenen. Eine Beschwerde bei Gauck durch Transparency International blieb erfolglos.
Erwähnt sei an dieser Stelle, dass sowohl Grüne als auch Linke eine jährliche Parteispendenobergrenze forderten und ein Spendenverbot für Unternehmer und Verbände. Seit 2011 läuft ein Mahnverfahren der GRECO (Kommité des Europarats zur Bekämpfung der Korruption) gegen Deutschland wegen mangelnder Transparenz bei der Parteienfinanzierung. Dessen Berichte stellen 2014 und 2016 ein beschämendes Urteil aus.

Da der Ideenreichtum, an Geld zu kommen oder aber mit Geld Einfluss zu nehmen, groß ist, haben alle Geldgeber und -nehmer inzwischen das Parteiensponsoring für sich entdeckt. Das ist als Betriebsausgabe abzugsfähig und bedarf seitens der Parteien keiner Rechenschaft. So können die Gelder nur so fließen und der Einfluss auf politische Entscheidungen erfolgt gezielter. Dabei ist das Parteitagssponsoring nur die Spitze des Eisbergs. So lässt sich beispielsweise die CDU/CSU-Mittelstandsvereinigung ihre Geschäftsstelle von McDonalds und der Tabakindustrie sponsern. Der Tabakkonzern Philip Morris International (PMI) belohnte beispielsweise die CDU 2015 mit 98.000 Euro – davon 15% als Spende, 85% als Sponsoring, über das sich im Rechenschaftsbericht keine Zeile findet. (S. 27)
„2010 wurde bekannt, dass Treffen mit Spitzenpolitikern in Deutschland gegen Geld zu haben sind. Die CDU hatte unter dem Deckmantel des Parteisponsorings zahlungskräftigen Interessenten Termine mit ranghohen Politikern angeboten (Rent-a-Rüttgers, Rent-a-Tillich), was die SPD ebenfalls in der Form von „Kamingesprächen“ anbot. Trotz der Kritik aus der Öffentlichkeit scherten sich Merkel und Lammert nicht darum. So sieht bis heute auch die CDU keinen Handlungsbedarf in Sachen Sponsoring. Man darf annehmen, dass der jahrelange Reformstau gewollt ist.

Besonders nett ist für Bundestagsabgeordnete der Zugang zu jedweder Nebentätigkeit in unbegrenzter Vergütungshöhe. Meine Nebentätigkeit als Kursleiter an der Volkshochschule bedurfte einer Erlaubnis meines Dienstherrn. Abgeordnete sind nur ihrem Gewissen verpflichtet und genießen Freiheiten ohne Ende. Wenigstens zur Offenlegung ihrer Nebeneinkünfte sind sie seit 2013 einer 10-Stufen-Liste folgend verpflichtet.
Laut einer Studie von Transparency International Deutschland kann bei einem Sechstel der Bundestagsabgeordneten von einem Interessenkonflikt durch die Verbindung Führungsfunktion/entgeltliche Nebentätigkeit ausgegangen werden. Als Beispiele genannt werden Florian Han (CSU), Rudolf Henje (CDU) und Martin Burkert (SPD). (S. 32 ff)

Geschafft hat die GroKo 2014 mit Einsatz der SPD gegen den Widerstand der CDU, den laschen Korruptionsparagraphen 108e StGB zu überarbeiten. „Der Straftatbestand der Abgeordnetenbestechung bleibt auch in der Neuregelung zu eng gefasst. So soll ein strafwürdiges Verhalten etwa nur dann vorliegen, wenn der oder die Abgeordnete ‚im Auftrag oder auf Weisung‘ handelt.“ Grauzonen der Gesetzesauslegung sind also inbegriffen und der Vorsitzende Richter am Bundesgerichtshof, Thomas Fischer, nannte das Gesetz „einen Witz“. (S. 35, 36)

Der größte Steuerskandal der BRD ist auch ein Lobbyskandal, bekannt unter der Bezeichnung Cum/Ex-Skandal. Die intensive Lobbyarbeit der Banken und politisches Versagen machten diesen Milliarden-Skandal möglich. Versagt hat die Steueraufsicht des Bundesfinanzministeriums. Es gelang den Banken, einmal gezahlte Steuern beim Finanzamt mehrfach geltend zu machen. „Cum“ steht für Aktien mit Dividendenanspruch, „Ex“ für solche ohne. Die Schätzung der Schadenshöhe durch Cum/Ex-Leerverkaufsgeschäfte beläuft sich auf 31,8 Mrd. Euro. Der größte Fall von Finanzkriminalität in Deutschland verdankt seine Inszenierung der Einschleusung eines Maulwurfs mal in die Steuerabteilung, mal ins Ministerium, mal in die Beratungsposition von Banken, mal in die Beurlaubung mit einem Jahresbezug über 80.000 Euro von vier Bankenverbänden. Nur der Mut einiger Whistleblower, auf die anfänglich nicht gehört wurde und die zum Teil ihre Jobs verloren, verdankt der Steuerzahler das Ende dieses Riesenskandals. (S. 38 ff.)

Ein weiterer Skandal mit einem Lobby-Hintergrund ist der Abgasskandal, der 2015 für Aufregung sorgte. Der Volkswagen-Konzern hatte seine Autos für die Abgasmessungen manipuliert. Diesel-PKWs hatte man zwecks Betrug bei der Abgasmessung mit einer speziellen Software ausgestattet, die für unterschiedliche Messergebnisse auf Prüfstation und Straße sorgten. Der VW-Abgasskandal weitete sich zum Diesel-Skandal aus und brachte die gesamte Autoindustrie in Misskredit. Die Bundesregierung glänzte mit einer Kultur des Wegschauens und Verharmlosens. Hintergrund sind auch hier Verflechtungen von Politik und Autoindustrie nicht nur in Berlin, sondern auch in Brüssel. Matthias Wissmann, Chef des Verbandes der deutschen Autoindustrie war in den 1990er Jahren Kabinettskollege der damaligen Umweltministerin Angela Merkel und gilt noch heute als ihr enger Vertrauter. Auch Joachim Koschnicke, zuvor Opel-Cheflobbyist, wurde von Merkel ins Wahlkampfteam berufen. „Ihr ehemaliger Büroleiter Michael Jansen leitet heute die Hauptstadtrepräsentanz von Volkswagen. Ihr früherer stellvertretender Regierungssprecher Thomas Steg ist heute Cheflobbyist bei VW. Und mit Eckart von Klaeden saß im Sommer 2013 sogar ein designierter Autolobbyist mit am Kabinettstisch. Ob Lobbyarbeit, Seitenwechsel oder Parteispende – die Autobranche steht an vorderster Stelle. (S. 42 ff.)

Fazit: Kaum ein Land in der EU setzt Lobbyisten so wenig Grenzen wie Deutschland. Schwarz-Rot hat an diesem Zustand nichts geändert. Skandale werden zunehmen, wenn die notwendigen Maßnahmen und Gesetze gegen einen ungebremsten Lobbyismus nicht endlich in Angriff genommen werden. Der Schaden für die Demokratie ist enorm, der Verlust an Vertrauen der Bürger in Politik ist messbar.
Die Befürchtung ist berechtigt, dass auch die nächste GroKo im Sinne eines „Weiter-so“ regieren wird.

 

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